Herr Tschentscher, die Bürger sollen nun einen kostenlosen Corona-Schnelltest pro Woche bekommen - "soweit möglich" mit einer Bescheinigung über das Ergebnis. Aber der Testmotor stottert gewaltig. Läuft die Politik wieder in eine Ankündigungsfalle?
Ja, das hat schon stattgefunden. Es wurde etwas angekündigt, was noch gar nicht organisiert war. Damit wurde die Erwartung geweckt, dass kostenlose Schnelltests schon ab dem 1. März überall zur Verfügung stehen. Das Testsystem wird jetzt schrittweise aufgebaut, denn es ist wichtig für die weiteren Öffnungsschritte.
Das klingt nach harter Kritik an Gesundheitsminister Jens Spahn.
Man sollte nicht einfach Ansagen in die Welt setzen, ohne einen Plan zu haben für die Umsetzung. Das war bei der Schnelltest-Strategie der Fall - und es war beim Thema Impfstoffversorgung schon einmal so. In einer angespannten Lage darf man nicht ständig Erwartungen wecken und dann sagen, für die Umsetzung sind andere zuständig. Deshalb ist Herr Spahn an dieser Stelle zurecht von der Kanzlerin korrigiert worden.
Hätte es eine Schnellteststrategie nicht ohnehin viel früher geben müssen?
Ja, das wäre besser gewesen. Mittlerweile gibt es zum Glück auch Schnelltests, die einfacher sind und die man selbst durchführen kann. Dadurch können wir sie in den Schulen bei den jüngeren Schülerinnen und Schülern einsetzen.
Aldi prescht mit einem Selbsttest vor. Kann ein Discounter wirklich die Politik abhängen?
Hamburg hat sich auch bereits Selbsttests besorgt, die wir jetzt in Kitas und Schulen verwenden. Ich finde es gut, dass große Handelsunternehmen Selbsttests anbieten. Wir wollen ja, dass viel getestet wird, um Infektionen möglichst früh zu erkennen. Wenn Schnelltests dazu dienen sollen, dass jemand ins Museum gehen oder eine körpernahe Dienstleistung in Anspruch nehmen kann, muss es für das Ergebnis eine Bescheinigung geben. Dafür brauchen wir die kommunalen Testzentren.
Was erwarten Sie von den Arbeitgebern in Sachen Schnelltests?
Der Bund hat eine Vereinbarung mit der Wirtschaft angekündigt, dass die Unternehmen ihren Beschäftigten einen kostenlosen Schnelltest pro Woche anbieten. Das wäre ein wichtiger Beitrag für das Gemeinwesen.
Die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten haben Öffnungen in der Corona-Pandemie beschlossen - obwohl es beim Testen und Impfen noch Verzögerungen gibt. Haben Sie und die anderen Verantwortlichen im falschen Moment Geduld und Nerven verloren?
Es gab einen großen Druck mehrerer Länder, jetzt sehr schnell große Öffnungsschritte zu machen. Ich halte das für riskant und habe mich dagegen ausgesprochen. Das letztlich beschlossene Konzept ist vertretbar, weil die kritischen Öffnungen mit Schnelltests abgesichert werden.
Wie groß ist die Gefahr einer dritten Welle?
Wir sind bereits in einer dritten Welle, die von den neuen Virusvarianten bestimmt wird. Es kommt jetzt darauf an, dass sie nicht zu heftig wird und wir die Zeit überbrücken, bis die Impfungen ausreichend vorangeschritten sind. Deshalb ist es im Zuge der weiteren Öffnungsschritte noch wichtiger als vorher, dass die jeweils noch bestehenden Beschränkungen ernst genommen und auch tatsächlich eingehalten werden.
Wie realistisch ist ein weiterer Lockdown?
Ich sehe durchaus die Gefahr eines erneuten Lockdown, deswegen habe ich ja für größere Zurückhaltung bei den Öffnungen plädiert. Aber der Erwartungsdruck für schnelle Lockerungen war groß. Unser Konzept enthält dafür jetzt eine sogenannte Notbremsenregelung, wenn die Infektionszahlen in einem Bundesland oder einer Region zu hoch werden. Klar ist: Wir sind immer noch in einer kritischen Pandemielage. Viele Mediziner und Virologen haben die Befürchtung, dass wir mit der beschlossenen Öffnungsstrategie zu weit gehen.
Droht also eine On-Off-Strategie, bei der immer wieder erst geöffnet wird - und dann Schritte zurückgenommen werden?
Es gibt Länder, die von einem Totallockdown mit Ausgangssperren in große Öffnungen wechseln und dann wieder zurückgehen in den Lockdown. Das ist für den Gesundheitsschutz und für die Wirtschaft kein gutes Konzept. Wir können uns bei einer zunehmenden Impfquote in den vulnerablen Bevölkerungsgruppen durchaus höhere Inzidenzen erlauben. Aber noch ist es nicht so weit. Wir müssen verhindern, dass die Infektionszahlen wieder stark ansteigen und das Gesundheitswesen mit dann jüngeren Patienten erneut an seine Belastungsgrenzen kommt.
Olaf Scholz will die SPD als Kanzlerkandidat deutlich über 20 Prozent bringen. Die Partei verharrt seit seiner Ernennung zum Kanzlerkandidaten aber zwischen 15 und 17 Prozent. Was kann die Sozialdemokraten retten?
Wir haben ein modernes Programm vorgelegt, das sich aus der Frage entwickelt, wo Deutschland in 30 Jahren stehen soll. Die SPD hat sich immer dadurch ausgezeichnet, dass sie die Zukunft in den Blick nimmt und veränderungsbereit ist. Wir sind in den letzten 16 Jahren in Deutschland zu wenig vorangekommen beim Ausbau der Infrastruktur und der Gestaltung der Digitalisierung. Auch in dieser Regierung gibt es zu wenig Perspektive: Wir wissen bis heute nicht, von welchem Strombedarf wir mit der Energiewende in zehn Jahren ausgehen müssen.
Aber die SPD ist doch in der Regierung.
Ja, aber in bestimmten Ressorts wird einfach blockiert. Das Wirtschaftsministerium weigert sich seit zwei Jahren, eine realistische Prognose über den künftigen Strombedarf aufzustellen. Die brauchen wir aber, um die Ausbaupfade der regenerativen Energien festzulegen. So kommen wir nicht voran, diese Denk- und Planungsblockaden müssen weg.
Darf Scholz dann künftig auch mal auftreten, ohne dass er - wie bei der Programmvorstellung - von den Parteichefs eingerahmt ist?
Je weiter der Wahlkampf voranschreitet, desto stärker liegt der Fokus auf dem Spitzenkandidaten. Mit Olaf Scholz können wir ein Wahlergebnis im oberen Bereich der 20er-Prozentpunkte erreichen. Politische Stimmungslagen hin oder her. Wenn die Bürgerinnen und Bürger am Wahltag darüber entscheiden, wem man das Land anvertrauen kann, wird Scholz die Nase vorn haben.
CSU-Chef Markus Söder hat Scholz angeraunzt, er solle nicht so schlumpfig herumgrinsen. In welcher Schlumpfrolle sehen Sie Ihren Kanzlerkandidaten?
Das wäre ein Schlumpf, der es gewohnt ist, im entscheidenden Moment die Dinge in die Hand zu nehmen und Ansagen zu machen. Also, wenn Sie so wollen, ein "Kanzler-Schlumpf".
Sind Sie beim SPD-internen Streit über linke Identitätspolitik und Fragen von queerer Gleichstellung - auch in der Sprache - eher im Team von Kevin Kühnert oder von Wolfgang Thierse?
Die Leute interessieren sich derzeit mehr dafür, wie wir die Pandemie bekämpfen und ob wir eine Vorstellung haben, wie es danach weitergeht. Wir wollen den wirtschaftlichen Neuaufschwung mit den Zukunftsthemen Klimaschutz und Digitalisierung verbinden. Wir wollen Arbeitsplätze sichern und für faire Bezahlung sorgen. Dafür steht die SPD.
Dafür, dass sie die angesprochene Debatte für nicht so wichtig halten, findet sie in der SPD ziemlich laut statt.
Sie ist für den Wahlkampf kein entscheidendes Thema, aber natürlich führt die SPD Debatten über den gesellschaftlichen Fortschritt und damit auch über eine Gender-gerechte Sprache. Sprache darf nicht diskriminieren. Sie ist zugleich ein Kulturgut, das wir bewahren müssen. Daraus entsteht ein Spannungsfeld, das nicht ganz leicht zu bewältigen ist.
Thierse ist verstimmt, dass mancher ihn für rückwärtsgewandt hält - und hat seinen Austritt aus der SPD angeboten.
Wolfgang Thierse ist eine besondere Persönlichkeit und gehört zur SPD. Wir wollen ihn nicht verlieren.
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