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Aktuelles

07.04.2021 | Interview mit der WELT

"Es gibt die Erwartung vieler Bürger nach mehr Klarheit und Einheitlichkeit."

Die Bundeskanzlerin hat die für den Montag geplante Ministerpräsidentenkonferenz abgesagt. Zurecht?

Peter Tschentscher: Den Termin haben Bund und Länder gemeinsam festgelegt, um über das weitere Vorgehen nach Ostern zu entscheiden. Aus meiner Sicht besteht weiterhin Handlungsbedarf.

Welche Punkte hätten Sie gerne beschlossen?

Wir brauchen eine Entscheidung zum Schnelltestangebot in den Unternehmen. Unsere Strategie zur Abschwächung der dritten Welle beruht darauf, einen nennenswerten Teil der Bevölkerung regelmäßig zu testen. Neben Schulen, Kitas und kommunalen Testzentren brauchen wir dafür auch die Wirtschaft. Dazu muss es jetzt eine Ansage der Bundesregierung geben: Reicht die Selbstverpflichtung oder gibt es eine regulatorische Vorgabe, eine Testpflicht? Außerdem hoffe ich auf eine Bekräftigung, dass die MPK-Beschlüsse in allen Ländern umgesetzt werden. Flächendeckend. In bestimmten Bereichen wie dem Einzelhandel, bei den Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen brauchen wir zudem einheitliche Regeln, die überall gelten.

Macht es nicht - wegen der regional sehr unterschiedlichen Infektionsentwicklung - durchaus Sinn, dass Landkreise unterschiedliche Maßnahmen entsprechend ihrer Inzidenz ergreifen?

In dieser Phase der Pandemie ist es nötig, in allen Ländern und auch innerhalb jedes einzelnen Bundeslandes möglichst einheitlich vorzugehen. Unterschiedliche Regelungen zum Beispiel für Einzelhandel und Dienstleistungen verursachen zusätzliche Mobilität, durch die Infektionen von einer Region in die andere getragen werden.

Also dieselben Einschränkungen im Kreis Nordfriesland, Inzidenz 18, wie in der Stadt Hof, Inzidenz 486?

Es gibt die Erwartung vieler Bürger nach mehr Klarheit und Einheitlichkeit. Viele wissen inzwischen gar nicht mehr, welche Regeln in ihrer Stadt oder ihrem Landkreis gerade gelten. Hier sind alle Geschäfte geschlossen, dort gibt es "Click and Meet", andernorts dürfen nur die einkaufen, die einen negativen Schnelltest vorweisen. Dieser Flickenteppich führt dazu, dass die Menschen keine Strategie erkennen. Darunter leiden dann auch die Akzeptanz und damit die Wirkung unserer Maßnahmen. Die brauchen wir aber, gerade in der jetzigen Phase.

Sie sind mit diesem Wunsch nach einer einheitlichen Linie bisher immer wieder enttäuscht worden. Was macht Ihnen Hoffnung, dass das diesmal anders wird?

Die britische Mutation ist mittlerweile überall angekommen. Sie ist ansteckender und führt nach Einschätzung des RKI zu schwereren Erkrankungen. Damit kommen wir nur zurecht, wenn wir die Eindämmungsmaßnahmen strikter umsetzen und zu frühe Öffnungsschritte vermeiden. Anfang März hatten einige noch die Hoffnung, dass man den Einzelhandel vollständig öffnen und die Inzidenz trotzdem unter 50 oder sogar unter 35 halten könnte. Das hat sich als Illusion erwiesen. Angesichts der Infektionszahlen und der angespannten Lage auf den Intensivstationen müsste die Bereitschaft für ein konsequentes und einheitliches Vorgehen inzwischen höher sein.

Kann es auch sein, dass die Entwicklung der Pandemie derzeit gar nicht so dramatisch ist wie Sie befürchten? Die Inzidenz erscheint stabil und die Zahl der Corona-Todesfälle ist stark rückläufig. Spielt das für Sie keine Rolle?

Die Erfahrung aus der ersten und zweiten Welle besagt, dass wir nicht nur auf die aktuelle Lage blicken dürfen, sondern auch auf das, was noch kommen kann. Wissenschaft und Intensivmedizin warnen uns eindringlich vor einem deutlichen Anstieg der Zahl der stationären Covid-19-Patienten und in der Folge auch der Intensiv-Patienten. Die Zahl der Intensivpatienten ist in Hamburg schon jetzt so groß wie auf dem Höhepunkt der zweiten Welle. Die weitere Entwicklung abzuwarten, wäre gefährlich. Wir müssen in der Pandemiebekämpfung frühzeitig handeln. Das verringert die Gefahr für jeden einzelnen - und hilft uns insgesamt, die Krise schneller zu überwinden. Die Öffnungsschritte im März haben uns die Sache nicht leichter gemacht und die Krise verlängert.

Sie selbst haben vor Ostern Ausgangsbeschränkungen für HH verhängt. Wie sind die ersten Erfahrungen? Halten sich die Leute an die Vorgaben?

Ja, das tun sie. Die Ausgangsbeschränkung ist sehr wirksam. Es sind abends nur noch wenige Leute unterwegs. Wir haben auch Hinweise, dass die Corona-Verstöße im privaten Bereich abgenommen haben. Es kommt jetzt darauf an, die Disziplin zu halten bis die Infektionsdynamik ausreichend gebremst ist.

Sind Sie eigentlich sicher, dass das eine Ausgangsbeschränkung eine verhältnismäßige Maßnahme ist? Ihr Bremer Kollege und Parteifreund Andreas Bovenschulte zum Beispiel hat da ja durchaus Zweifel.

Ausgangsbeschränkungen sind im Hinblick auf die Grundrechte tatsächlich eine einschneidende Maßnahme. Deshalb setzen wir sie auch erst ein, nachdem die milderen Mittel ausgeschöpft sind. Wir haben sie jetzt beschlossen, weil es nötig war, um die Infektionsdynamik ausreichend abzubremsen. Die ersten Urteile der Verwaltungsgerichte bestätigen die Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens.

Was muss passieren, damit Sie die Ausgangsbeschränkungen wieder aufheben?

Die 7-Tage-Inzidenz muss wieder stabil unter 100 liegen. Das heißt, wir können die Ausgangsbeschränkungen nicht gleich am ersten Tag nach der Unterschreitung dieser Grenze aufheben, aber es wird sicher eine der ersten Maßnahmen sein, die zurückgenommen werden.

Ärgert es Sie, wenn der Regierungschef des Saarlandes die anderen Ministerpräsidenten wegen der Nähe zu den französischen Hoch-Inzidenz-Regionen um zusätzlichen Impfstoff bittet, sein Land aber wenig später zur Modellregion ernennt und zahlreiche Erleichterungen ermöglicht, während Sie mit weniger Impfstoff dastehen und Ausgangssperren verhängen müssen?

Das Vorgehen hat in vielen Ländern Irritation ausgelöst.

Wie läuft die Impfkampagne in Hamburg?

Der begrenzende Faktor ist weiterhin der Mangel an Impfstoff. Wir setzen in Hamburg jede Lieferung sofort ein. Über die Ostertage haben wir die Marke von 7000 Impfungen pro Tag überschritten und damit erstmals die geplante Kapazität unseres Impfzentrums ausgeschöpft. Wir können sie jederzeit ausweiten, indem wir die Öffnungszeiten verlängern. Derzeit ist aber erst einmal vereinbart, zusätzlichen Impfstoff an die Hausarztpraxen zu geben. Später können auch weitere Impfstellen, zum Beispiel in Krankenhäusern oder großen Unternehmen eingebunden werden.

Können Sie sich vorstellen, dass für Geimpfte in der Pandemie demnächst andere Regeln gelten als für Menschen, die noch nicht geimpft sind?

Wenn klar ist, dass vollständig geimpfte Personen die Infektionen nicht mehr weitergeben, kann ich mir das vorstellen. Wichtig ist, dass wir dann auch allen anderen ein Impfangebot machen können.

Tatsächlich erst, wenn alle geimpft sein könnten? Was passiert, wenn in Hamburg 700.000 Menschen geimpft sind und die anderen nicht? Können Sie es dann verantworten, Restaurants oder Theater geschlossen zu halten?

In einer solchen Lage wäre es zum Beispiel wichtig, dass die noch nicht geimpften Personen mit einem Schnelltest ebenfalls ins Restaurant oder Theater gehen können. Es muss auch in einer Pandemie fair zugehen.

Das gilt auch für die Qualität der Impfstoffe. Wie sehen Sie als Mediziner die Debatte um AstraZeneca?

Der Impfstoff hat mehrere Umwege genommen. Jede Wendung war in der jeweiligen Situation aufgrund der vorhandenen Datenlage plausibel. Dennoch hat dies zu Verunsicherung geführt. Unterm Strich kann man heute feststellen, dass der Impfstoff für Personen über 60 Jahre sicher und sehr wirksam ist. Die Datenlage ist nach dem millionenfachen Einsatz des Impfstoffes heute sogar besser als zu Beginn der Impfungen.

Viele Menschen würden dennoch gern selbst auswählen, welchen Impfstoff sie bekommen.

Das ist auch möglich, wenn ausreichend Impfstoff für alle zur Verfügung steht. Derzeit ist das aber noch nicht der Fall und wir müssen sicherstellen, dass diejenigen geimpft werden können, die nach der Priorisierung der Ständigen Impfkommission an der Reihe sind.

Welche Rolle wird die Pandemie im Bundestagswahlkampf spielen?

Es wird dann hoffentlich darum gehen, wie es nach der Pandemie weitergeht, wie wir die Wirtschaft wieder in Schwung bringen und wer die besten Konzepte für die großen Themen unserer Zeit hat - die Digitalisierung, den Klimaschutz, die Investitionen in unsere Infrastruktur. Dafür hat die SPD gute Konzepte.

Momentan bewegt sich Ihre Partei in den Umfragen aber keinen Millimeter nach oben, obwohl ihr Amtsvorgänger Olaf Scholz schon seit August 2020 als Kanzlerkandidat feststeht.

Die konkrete Wahlentscheidung für eine Partei erfolgt bei vielen erst kurz vor dem Wahltermin, wenn auch die Alternativen deutlich sind. Noch wissen wir nicht einmal, wer bei den anderen Parteien als Spitzenkandidat oder -kandidatin antritt. Die SPD hat die richtigen Weichen schon gestellt und die Stärken unseres Kanzlerkandidaten werden sich im Wahlkampf bemerkbar machen.

Sie haben bei ihrem erfolgreichen Wahlkampf vor der Bürgerschaftswahl im Februar 2020 einen sehr eigenen Wahlkampf gemacht und sich von der Bundespartei weitgehend abgekoppelt. Würden Sie Olaf Scholz empfehlen, ebenso zu verfahren?

Wir hatten ein halbes Jahr vor der Bürgerschaftswahl auch keine guten Umfragewerte, waren aber selbstbewusst genug, zu unserer Arbeit und unseren Zielen zu stehen. In dieser Haltung müssen wir auch den Bundestagswahlkampf führen: Die SPD hat ein überzeugendes Gesamtkonzept und das Ziel, mit Olaf Scholz den nächsten Bundeskanzler zu stellen.

Zuerst veröffentlicht unter: https://www.welt.de/politik/deutschland/article230055557/Corona-Es-gibt-die-Erwartung-vieler-Buerger-nach-mehr-Einheitlichkeit.html