Sehr geehrte Frau Schwemer-Martienßen,
sehr geehrte Frau Untiedt,
sehr geehrter Herr Studt,
sehr geehrte Frau Köhler,
sehr geehrte Frau Vizepräsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft,
sehr geehrte Damen und Herren,
herzlich Willkommen im Hamburger Rathaus zum Senatsempfang anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der "Stiftung Hamburger Bücherhallen".
Dieses beeindruckende Jubiläum unterstreicht die lange Tradition der Bibliotheken in Hamburg. Die erste öffentliche Bücherhalle wurde durch den Hamburger Bürger und Juristen Eduard Hallier bereits im Oktober 1899, also vor fast 120 Jahren gegründet.
Zu dieser Zeit gab es bereits rund 20 Leihbibliotheken wie zum Beispiel die 1735 gegründete Commerzbibliothek der Handelskammer. Diese standen jedoch in der Regel nur Angehörigen bestimmter Berufsgruppen offen oder ihre Nutzung war für den gemeinen Bürger nicht bezahlbar.
Hallier überzeugte damals die Patriotische Gesellschaft davon, eine Öffentliche Bibliothek für alle Hamburgerinnen und Hamburger einzurichten. Finanzielle Unterstützung erhielt er von einigen wohlhabenden Kaufleuten, die Stadt stellte ein Gebäude in der Straße Kohlhöfen in der Neustadt zur Verfügung.
Die erste öffentliche Bücherhalle war ein großer Erfolg. Bereits am Eröffnungstag kamen über 400 Menschen, in der ersten Woche waren es mehr als 3.000.
In den folgenden Jahren wurden weitere Bücherhallen eröffnet: in Barmbek, Rothenburgsort, Hammerbrook und anderen Stadtteilen. 1913 stieg die Zahl der Ausleihen auf zwei Millionen, dann kam der Krieg.
Nach dem Ende des 1. Weltkriegs herrschten überall in Deutschland und auch in Hamburg Hunger und Verzweiflung. Nach den Schrecken des Krieges war die Versorgung der Bevölkerung schlecht. Die traditionsreiche Patriotische Gesellschaft stand vor dem finanziellen Ruin und konnte die nunmehr sechs Bücherhallen nicht länger aufrechterhalten.
Zugleich herrschte eine revolutionäre Stimmung, die von weiten Teilen der Bevölkerung getragen wurde. Dabei richtete sich die Stimmung nicht nur ablehnend gegen die bis dahin herrschende Monarchie und den Obrigkeitsstaat, sondern es entstand auch ein positiver zuversichtlicher Geist, Demokratie und gesellschaftlichen Fortschritt zu erreichen.
Die Bürgerinnen und Bürger wollten ein besseres Leben.
Eine ironische Traueranzeige in einer Hamburger Zeitung vom November 1918 spiegelt die öffentliche Stimmung dieser Zeit wider. Darin heißt es:
"...Heute verschied sanft und ohne nennenswerte Schmerzen (...) das Deutsche Kaiserreich. (...) Aus der Asche des deutschen Reiches erblühte die Republik und bringt den Frieden. Presse- und Redefreiheit und viele andere gute Dinge bringt die Zukunft."
"Viele andere gute Dinge bringt die Zukunft ..."
Es ging also einerseits um demokratische Grundrechte, um das allgemeine Wahlrecht, auch für Frauen, um die Wahl der Regierung durch Parlamente, um Meinungs-, Rede- und Pressefreiheit, die Unabhängigkeit der Justiz.
Aber es ging auch um andere "gute Dinge" - Arbeitnehmerrechte, Betriebsräte, soziale Institutionen, ein erstes öffentliches Wohnungsbauprogramm.
Und es ging schon damals um die Erkenntnis - die bis heute Gültigkeit hat -, dass formale Rechte auf politische Beteiligung und Mitbestimmung nur der erste Schritt sind. Um solche Rechte auch praktisch wahrzunehmen und als Chance für das eigene Leben nutzen zu können, bedarf es guter Bildung.
Deshalb wurden in Hamburg vor hundert Jahren nicht nur demokratische Rechte eingeführt, sondern zugleich eine Universität gegründet, zu der alle Zugang hatten und an der auch die Volksschullehrer eine akademische Ausbildung erhalten sollten.
Es wurden die Hamburger Volkshochschule gegründet und die ersten städtischen Kindertagesstätten eröffnet. Die neue Hamburger Volksbühne sollte allen Hamburgerinnen und Hamburgern einen Zugang zu Kunst und Kultur ermöglichen.
In dieser Zeit und Stimmung einer breiten Offensive für Bildung und Teilhabe wurde am 14. August 1919 die "Stiftung Hamburger Bücherhallen" errichtet.
Eine Stiftung ermöglichte es, sowohl privates Kapital als auch die Zuwendungen des Senats aufzunehmen. Auch wenn die Lage schwierig war und die Stiftung die Gebühren für die Nutzung der Bücherhallen erhöhen musste, konnte eine Schließung der Bücherhallen abgewendet werden.
Meine Damen und Herren,
der Rest ist Geschichte, wie man so sagt. Eine spannende Geschichte mit Höhen und Tiefen, die mit der Entwicklung Hamburgs in den letzten 100 Jahren einhergeht, in denen sich die Bücherhallen immer wieder neu erfinden mussten.
Über die Geschichte gibt es - wie sollte es anderes sein - interessante Bücher und in der Zentralbibliothek derzeit sogar eine Jubiläumsausstellung.
Die Bücherhallen hatten 1919 - einem Wendepunkt in der Geschichte unserer Stadt - einen wichtigen Anteil an Hamburgs Aufbruch in die Demokratie.
Sie stellten den Menschen Literatur und Wissen zur Verfügung und ermöglichten es ihnen, sich zu bilden, neue Perspektiven einzunehmen und eigene Standpunkte zu entwickeln. Bildungs- und Lebenschancen für alle - dieses Fundament unserer modernen Gesellschaft wurde mit den Bücherhallen gestärkt.
Meine Damen und Herren,
heute sind die Bücherhallen ein dynamischer und moderner Dienstleistungsbetrieb, der sich dem technischen Wandel und den unterschiedlichen Lebensverhältnissen der Kunden stellt.
Fast 5 Mio. Besucherinnen und Besucher haben die Hamburger Bücherhallen mittlerweile jedes Jahr. Statistisch ist 2018 jeder von uns zweieinhalb Mal in einer Bücherhalle gewesen.
Die Bücherhallen sind nicht nur gut sortierte Bibliotheken mit Büchern, Musikmedien, Filmen und Spielen in allen gängigen Formaten, analog und online in der "eBuecherhalle".
Mit 20.000 Events pro Jahr - Lesungen, Ausstellungen, Kindertheater, Podiumsgesprächen, kreative Workshops, Familientage und vieles mehr - sind die Bücherhallen vielseitiger Veran- staltungsort und die publikumsreichste Kultureinrichtung unserer Stadt.
Sie sind Lebensräume, Lern- und Begegnungsorte, die allen offen stehen - unabhängig von Alter, Herkunft oder Einkommen. Die zahlreichen Angebote für Kinder, Jugendliche, Erzieher und Lehrer haben sich zu einer wichtigen Ergänzung des Bildungsangebots in Hamburg entwickelt.
Die Bücherhallen leisten einen wichtigen Beitrag für eine lebendige Stadtgesellschaft und ein offenes, vielfältiges und demokratisches Gemeinwesen.
Das alles wird ermöglicht durch die Arbeit der über 400 hauptamtlichen Beschäftigten und rund 600 Ehrenamtlichen, die den professionellen Bibliotheksbetrieb in unterschiedlichen Feldern ergänzen und unterstützten.
Im Namen des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg danke ich Ihnen sehr herzlich für Ihre Arbeit und Ihr Engagement.
Ich gratuliere der "Stiftung Hamburger Bücherhallen" zum 100-jährigen Jubiläum und wünsche Ihnen für die Zukunft alles Gute!
Vielen Dank.
Auszeichnung Hella Schwemer-Martienßen
Meine Damen und Herren,
die soeben beschriebene Entwicklung der Bücherhallen wurde von keiner zweiten Person in den vergangenen Jahren so geprägt wie durch ihre langjährige Direktorin Frau Hella Schwemer-Martienßen.
Sie hat die Bücherhallen seit fast 25 Jahren mit Geschick, Weitblick und Durchsetzungsvermögen geleitet, das Filialsystem modernisiert und das heutige Netz einer Zentralbibliothek am Hühnerposten und 32 Stadtteilbibliotheken aufgebaut.
Frau Schwemer-Martienßen hat die Bücherhallen in den digitalen Wandel geführt und vielfältige neue, zeitgemäße Angebote geschaffen.
Sie hat die Bücherhallen zu einem wichtigen Bezugspunkt für Kinder und Jugendliche entwickelt, die ehrenamtliche Arbeit sowie den interkulturellen Dialog und die Sprachförderung für Geflüchtete gefördert.
Am 1. September geht Frau Schwemer-Martienßen in den Ruhestand.
Man hat mir gesagt, Frau Schwemer, dass Sie für ihre Bescheidenheit bekannt sind und sich nicht ins Rampenlicht drängen.
Aber heute hilft es nichts, denn der Senat hat entschieden, dass Ihre Tätigkeit für die Stiftung eine besondere Lebensleistung darstellt, die wir mit der Senator-Biermann-Ratjen-Medaille auszeichnen möchten.
Mit dieser Medaille werden seit 1978 Personen oder Institutionen geehrt, die sich mit ihren künstlerischen und kulturellen Leistungen um Hamburg verdient gemacht haben, und diese Medaille möchte ich Ihnen jetzt gerne überreichen.
Herzlichen Glückwunsch!
Es gilt das gesprochene Wort.