"Die Welt": Herr Bürgermeister, als Anfang April das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine neue Ausgestaltung der Grundsteuer quasi bei der Politik in Auftrag gab, wurden in Hamburg Sorgen laut, dass das finanzielle Nachteile für Hunderttausende Eigentümer und nachfolgend Mieter in Hamburg bedeutend könnte. Hat sich diese Sorge bei Ihnen zwischenzeitlich gelegt?
Peter Tschentscher: Nein. Die Mehrheit der Bundesländer möchte die Höhe der Grundsteuer weiterhin an die Wertentwicklung der Grundstücke und Gebäude anpassen. Die Immobilienwerte sind aber in den letzten Jahren in Metropolen wie Hamburg, München oder Frankfurt viel stärker gestiegen als in ländlichen Regionen und im Länderdurchschnitt. Da die Grundsteuer auf die Mieter umgelegt wird, verteuert sich das Wohnen mit so einer Grundsteuerreform gerade in den großen Städten und Metropolen, in denen das Leben ohnehin schon sehr teuer ist.
"Die Welt": Wenn nach Wert der Gebäude berechnet wird, drohen also starke Teuerungen gerade in den Altbauvierteln, aber auch dort, wo hochwertigere Neubauten entstanden sind.
Peter Tschentscher: Ja, so ist es. Für die Mieter und Eigentümer selbst genutzter Immobilien kommen da schnell einige Hundert Euro im Jahr zusammen. Gerade in Ballungsräumen geben viele Menschen einen großen Teil ihres Einkommens für die Miete aus. Sie haben kaum noch Spielraum. Viele Mieter haben einst in einem Stadtteil von einfacher oder mittlerer Lebensqualität eine Wohnung gefunden. Manche dieser Viertel haben sich über die Jahre zu einem angesagten, kreativen Quartier entwickelt. Eine stark steigende Grundsteuer würde dazu führen, dass sich weniger zahlungskräftige Mieter ihre bisherige Wohnung nicht mehr leisten können. Es käme zu einer höchst unerwünschten Entmischung der Wohnviertel: Hier die Reichen, die sich das Viertel weiter leisten können, und dort diejenigen, die an den Rand gedrängt werden.
"Die Welt": Wie sieht denn Hamburgs Vorschlag aus?
Peter Tschentscher: Unser Konzept sieht vor, dass nicht der Wert von Grundstück und Gebäude als Maßstab herangezogen wird, sondern die Fläche. Sie bildet den Nutzwert einer Wohnung gut ab und ist unempfindlich gegen einen ständigen Anstieg von Immobilienwerten, die oft auf auch Spekulationen beruhen und zum Beispiel vom Zinsniveau am Kapitalmarkt abhängen. Ein Flächenmodell ist eine nachvollziehbare und gerechte Lösung. Es ist einfach und schnell umzusetzen und hält das Grundsteueraufkommen für Städte und Gemeinden auf Dauer stabil.
"Die Welt": Wenn es so klar ist, warum wird dann noch debattiert?
Peter Tschentscher: Weil viele die Grundsteuer als eine Art Vermögensteuer ansehen und es gerecht finden, wenn diese mit dem Wert einer Immobilie steigt. Aber das ist ein Denkfehler. Denn die Grundsteuer wird gar nicht von den Eigentümern, also von den in diesem Sinne Vermögenden und wirtschaftlich Leistungsfähigen gezahlt, sondern auf die Mieter umgelegt. Bei einer wertabhängigen Grundsteuer käme es zu höchst unsozialen Verdrängungseffekten. Mieter haben gar nichts davon, wenn sich der Marktwert ihrer Wohnung erhöht. Trotzdem können sie sich die Miete dann nicht mehr leisten und müssen ausziehen. Auch viele Eigentümer selbst genutzter Immobilien sehen ihr Haus oder ihre Wohnung nicht als Vermögensgegenstand, den sie jederzeit verkaufen können oder wollen. Und sie kommen in Schwierigkeiten, wenn die eigene Immobilie noch nicht abbezahlt ist und der Finanzierungsplan durch eine stark erhöhte Grundsteuer umgeworfen wird.
"Die Welt": Wäre dieses von Ihnen kritisierte Modell aber nicht gerade im Sinn von einigen Flächenländern, die über zahlreiche Immobilien mit hoher Quadratmeterzahl, aber mit vergleichsweise geringem Wert verfügen? Da muss man ja nicht nur an Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern denken, auch in Niedersachsen oder Hessen gibt es diese Gegenden, die eher so strukturiert sind.
Peter Tschentscher: Auch in den Flächenländern gibt es viele Städte mit angespannten Wohnungsmärkten, in denen sich die Marktwerte der Immobilien stark erhöht haben. Die Wertentwicklung ist auch dort in den Stadtteilen und Quartieren höchst unterschiedlich, sodass es bei einer Marktwertorientierung der Grundsteuer zu denselben Effekten käme.
"Die Welt": Mit Bundesfinanzminister Olaf Scholz, aus dessen Haus die neue Vorlage zu Erhebung ja kommen muss, steht doch ein ausgewiesener Großstadtkenner und Parteifreund von Ihnen an der Spitze. Das müsste Sie doch beruhigen.
Peter Tschentscher: Olaf Scholz hat das Problem jedenfalls erkannt und lehnt die weitere Verteuerung des Wohnens in den Großstädten ab. Doch die Grundsteuer ist eine Ländersteuer. Eine Reform muss vom Bundesrat beschlossen werden, wo derzeit noch die Befürworter einer wertorientierten Grundsteuer die Mehrheit haben. Für Hamburg kann ich schon jetzt sagen: Ein Gesetz, das die Bürgerinnen und Bürger mit niedrigem Einkommen aus der Stadt vertreibt, werden wir ablehnen.
"Die Welt": Bis wann muss eine Entscheidung stehen?
Peter Tschentscher: Bis Ende nächsten Jahres muss der Gesetzgeber über eine Neureglung entschieden haben. Das ist nicht viel Zeit für ein so komplexes Thema. Deswegen müssen wir jetzt darauf drängen, dass gleich der richtige Weg eingeschlagen wird. Die Grundsteuer eignet sich nicht als Vermögenssteuer. Das müssen alle erkennen.
Das Interview führten Jörn Lauterbach, Ulrich Exner.