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Aktuelles

Bild: Pressestelle des Senats
25.11.2022 | Rede

Antrittsrede als Präsident des Deutschen Bundesrates

Sehr geehrte Damen und Herren,
zum zweiten Mal seit der Wiedervereinigung und zum sechsten Mal seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland übernimmt die Freie und Hansestadt Hamburg die Präsidentschaft des Bundesrates. 

Um Ihnen die Mentalität der hanseatischen Stadtgesellschaft zu übermitteln, kann ich sagen: Es ist uns eine Ehre. 

Wir leben in bewegten Zeiten, das war der Hinweis von Bodo Ramelow zu Beginn seiner Antrittsrede als Bundesratspräsident vor einem Jahr. 

Neben den Auswirkungen der Corona-Pandemie nannte er den Klimaschutz und die digitale Modernisierung, die uns als Herkulesaufgabe viel abverlangen.  

Hinzu trat nur wenige Monate später der Angriffskrieg Russlands, der großes Leid über die Menschen in der Ukraine bringt. 

Die Aggression des russischen Präsidenten erschüttert die europäische Sicherheitsordnung und verlangt schnelle Entscheidungen für die Aufnahme von Flüchtlingen, zur Sicherstellung der Energieversorgung und der Abwendung von Schäden durch explodierende Energiepreise.

Es sind also weiterhin bewegte Zeiten, in denen wir im Bundesrat in Abstimmung mit dem Bund weitreichende Beschlüsse fassen müssen.

Vier Sondersitzungen liegen in diesem Jahr bereits hinter uns. Zum Vergleich: Vor der Corona-Pandemie – 2019, 2018 und 2017 – gab es keine einzige.

Gelegentlich knirscht es dann auch im Getriebe des Föderalismus – nicht, weil das System schwach ist, sondern weil die Belastungen groß sind. 

Ich bedanke mich sehr herzlich bei Bodo Ramelow für die Arbeit in seiner Amtszeit als Bundesratspräsident und ebenso bei den Beschäftigten des Bundesrates, die unsere Arbeit im Hintergrund sehr professionell organisieren und unterstützen.

Meine Damen und Herren, 
in kluger Absicht sieht das Königsteiner Abkommen von 1950 vor, dass jedes Jahr ein anderes Land den Vorsitz im Bundesrat führt, um die Gleichrangigkeit der Länder zur Geltung zu bringen.
Im Laufe eines Durchgangs kommt dabei zugleich die Vielfalt der Länder zum Ausdruck, die Deutschland ausmacht.

So haben zum Beispiel meine direkten Vorgänger Bodo Ramelow und Rainer Haseloff in ihrer Zeit als Bundesratspräsident zu verschiedenen Anlässen deutlich gemacht, welchen Beitrag zur Geschichte und Kultur Deutschlands die traditionsreichen Länder Thüringen und Sachsen-Anhalt geleistet haben.

Dass wir uns der gemeinsamen Kultur und Geschichte vergewissern, die uns weit über die deutsche Sprache hinaus miteinander verbindet, ist ein wichtiges Fundament für den Zusammenhalt in Deutschland, von Ost und West, von der Nord- bis zum Bodensee.

Nur, was kann Hamburg dazu beitragen? Eine alte Stadtrepublik, deren Hauptanliegen in ihrer Jahrhunderte langen Geschichte vor allem darin bestand, sich möglichst herauszuhalten aus den Konflikten und der wechselvollen Geschichte Deutschlands und Europas. Kein Kaiser oder König, nicht einmal ein Herzog hat je von Hamburg aus regiert. Auch die Reformation wurde nicht bei uns erdacht. 

Was also könnten wir einbringen in ein gemeinsames Bewusstsein, das uns stärkt in einer Welt, die sich schnell verändert und viele Risiken in der Zukunft erkennen lässt?

Bei allem hanseatischen Understatement, darf ich erwähnen, dass Hamburg die größte Stadt Europas ist, die nie selbst Hauptstadt oder Sitz der Nationalregierung ihres Landes war. 

Die Grundlage für die wirtschaftliche Entwicklung, für Wachstum und Wohlstand, für ein gutes Leben aller Bürgerinnen und Bürger war stets die Bereitschaft, mit der Zeit zu gehen, immer wieder neue Wege einzuschlagen und Bündnisse zu schließen mit guten Partnern nah und fern, zum Beispiel im Bund der Hanse, die gleichsam ein historisches Vorbild für heutige Freihandelsabkommen darstellt. 

Darauf kommt es gerade in Zeiten von Krisen und Umbrüchen an: Neue Wege zu gehen, neue Chancen zu erkennen und zu ergreifen.

„Horizonte öffnen“ lautet deshalb das Motto unserer Bundesratspräsidentschaft und des Tags der Deutschen Einheit, den wir im kommenden Jahr in Hamburg feiern wollen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Fortschritt und Veränderung brauchen Kraft und Motivation, und das hat auch etwas mit Psychologie und einem positiven „Mindset“ zu tun. 

Hamburg wurde gerade zum vierten Mal in Folge als smarteste Stadt Deutschlands ausgezeichnet. Ja, die Digitalisierung ist auch etwas Positives. Sie schafft völlig neue Möglichkeiten in Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft. Sie macht das Leben einfacher und setzt Ressourcen frei, die wir in anderen Bereichen dringend brauchen. Kluge Digitalisierung ist keine Last, sondern Befreiung. 

Dasselbe gilt für den Klimaschutz, der oft mit schlimmen Negativszenarien in Verbindung gebracht wird. Auch hier sollten wir den Blick auf die Chancen richten. 

Der Einsatz moderner klimafreundlicher Technologien macht das Leben besser. Der Verkehr in den Städten wird leiser, die Luft wird sauberer, unsere Industrie wettbewerbsfähiger und unser Land unabhängiger, wenn es uns gelingt, die Dekarbonisierung über technologische Innovationen zu erreichen. 

Umschalten statt Abschalten, das ist das Ziel.

Ich will dabei die Kosten, die soziale Dimension und die wirtschaftlichen Komplikationen dieser großen Transformationsprozesse nicht relativieren. Dafür brauchen wir Pläne und starke Bündnisse.
Aber die Triebkraft, die Motivation, die gesellschaftliche Unterstützung für diese Kraftanstrengungen ergeben sich nicht aus den Problemen, sondern aus den Chancen.   

Windräder, die sich in Hamburg drehen und Strom produzieren für Elektrobusse, die nahezu geräuschlos durch die Stadt fahren und die Menschen an ihr Ziel bringen. Das sind die Bilder, die schon heute Realität sind und die Vorbilder sein können für die Zukunft einer klimaneutralen Art des Lebens und Wirtschaftens. 

„Mut verbindet“ war das Motto der Bundesratspräsidentschaft von Schleswig-Holstein 2018, und darum geht es weiterhin: 

Um Mut und Zuversicht, dass wir in Deutschland als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt, dass wir mit unserer wirtschaftlichen Kraft, mit wissenschaftlicher und technologischer Exzellenz die großen Transformationsprozesse hinbekommen und sogar anführen können. 

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
wenn wir auf die Antrittsreden der Bundesratspräsidenten der letzten Jahre zurückblicken, dann zeigt sich ein gemeinsamer Tenor:

Der Appell an den gesellschaftlichen Zusammenhalt, den wir in diesen bewegten Zeiten dringend benötigen. „Wir Miteinander“ war das Motto von Brandenburg 2019, „Gemeinsam Zukunft formen“ die Botschaft aus Sachsen-Anhalt 2020 und „Zusammen wachsen“ der Appell von Thüringen im vergangenen Jahr. 

Dem schließe ich mich gerne an. 

Die Beratungen im Bundesrat und in unseren Ausschüssen sind stark geprägt von dem Willen, Konsens herzustellen und Kompromisse zu finden. Das gilt seitens des Bundesrates, sehr geehrter Herr Kanzleramtsminister, auch im Verhältnis zum Bund. 

Ein aktuelles Beispiel ist die Beratung zum Bürgergeld, dessen grundlegende Ausrichtung mit dem Schwerpunkt auf Ausbildung und Qualifizierung eine breite Zustimmung findet. 

Deshalb war es jetzt auch wichtig, in den strittigen Nebenfragen Lösungen zu finden und den Weg frei zu machen für sozial- und arbeitsmarktpolitischen Fortschritt. Ich freue mich, wenn die Empfehlung des Vermittlungsausschusses heute eine breite Unterstützung erfährt in Bundestag und Bundesrat.

Die Debatten hier im Plenum sind selten der Stoff, aus dem Brennpunkte und Schlagzeilen gemacht werden, aber es lohnt sich immer hinzuhören. 

Eine wohltuende Sachlichkeit bestimmt den Diskurs, der sich abhebt von der zunehmend konfrontativen Diskussion in der Öffentlichkeit und den sozialen Netzwerken.

Wir sollten diesen Stil weiter pflegen – gleichsam als Gegenbewegung zum Trend der Aufregung und Eskalation. 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich möchte einen letzten Punkt ansprechen, der auch etwas zu tun hat mit dem gesellschaftlichen Zusammenhalt und unseren Werten von Demokratie, Toleranz und Freiheit. 

Die Vielfalt Deutschlands besteht nicht nur in der Vielfalt der Landschaften, der regionalen Prägungen und unterschiedlichen Mentalitäten in Ost und West, Nord und Süd. 

Wir leben in einer globalisierten Welt. Der internationale Austausch ist wichtig für die Wissenschaft, die Kultur und die Wirtschaft. Aus schwerwiegenden Gründen kommen Flüchtlinge zu uns, und viele bleiben auf Dauer. Sie bringen sich ein, schließen Freundschaften und erhalten berufliche Perspektiven in Unternehmen, die neue Kräfte gut gebrauchen können.

In Hamburg leben Menschen aus 180 Nationen zusammen, mit den unterschiedlichsten Sprachen, Kulturen und Religionen. Ein Drittel der Hamburgerinnen und Hamburger haben einen Migrationshintergrund, das heißt sie selbst oder ihre Eltern sind nicht in Deutschland geboren. Bundesweit ist es rund jede und jeder vierte Deutsche.

Diese Vielfalt der Lebenserfahrungen der Menschen unseres Landes ist eine Stärke und eine Bereicherung. Wir können als Personen des öffentlichen Lebens auch hier Zeichen setzen. 

Im Frühjahr war ich gemeinsam mit unserer Bischöfin und dem Landesrabbiner der Jüdischen Gemeinde als Gast auf einem Iftar-Fest, dem Fastenbrechen islamischer Gemeinden. Und ich kann Ihnen sagen, es war ein schönes Fest, mit guten Gesprächen, neuen Ideen und der klaren Botschaft: Wir halten zusammen, wir sind eine Gemeinschaft.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, 
die aktuellen Probleme erscheinen uns immer als die größten. Doch krisenhafte Zeiten mit großen Bedrohungen und Risiken gibt es in der Geschichte der Bundesrepublik nicht zum ersten Mal. 

Ich erinnere mich an meine Zeit als Schüler Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre mit einem Höhepunkt des kalten Krieges und der atomaren Hochrüstung auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Im Westen Deutschlands erreichten Arbeitslosigkeit und Inflation Rekordwerte. Es gab Ölkrisen und Terroranschläge der RAF. 

In dieser ebenfalls bewegten Zeit sagte Bundeskanzler Helmut Schmidt in einer Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag: „Wir sind nicht Objekte der Geschichte. Wir sind handlungsfähig – und wir sind handlungswillig.“

Sehr geehrte Damen und Herren,
mit diesem Mut, dieser Zuversicht und Tatkraft können wir auch heute „Horizonte öffnen“. 

Wir haben alles, um unseren Kurs selbst zu bestimmen: Stärke und Ideen aus der Vielfalt unseres Landes, die Potenziale des technischen und sozialen Fortschritts und gute Partner in der Welt.

Herzlichen Dank.

Es gilt das gesprochene Wort.