Sehr geehrter Herr Rickert,
sehr geehrte Frau Beier,
sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für die Einladung zur Feier des 100. Jubiläums der Hamburger Volksbühne.
Die Erinnerung an die Gründung der Volksbühne führt uns zurück in eine Zeit des Umbruchs und Aufbruchs.
Nach dem Ende des 1. Weltkriegs herrschten überall in Deutschland und auch in Hamburg Hunger und Verzweiflung.
Nach den Schrecken des Krieges war die Versorgung der Bevölkerung schlecht. An der Spanischen Grippe starben damals Tausende auch deshalb, weil sie durch Unterernährung geschwächt waren.
Die Bürgerinnen und Bürger wollten ein besseres Leben und es entstand eine revolutionäre Bewegung, die von weiten Teilen der Bevölkerung getragen wurde.
Dabei richtete sich die Stimmung nicht nur ablehnend gegen die bis dahin herrschende Monarchie und den Obrigkeitsstaat, sondern es entstand auch ein positiver zuversichtlicher Geist, neue demokratische Rechte und gesellschaftlichen Fortschritt zu erreichen.
In einer Hamburger Zeitung vom November 1918 erschien damals eine ironische Traueranzeige. Darin heißt es:
"...Heute verschied sanft und ohne nennenswerte Schmerzen (...) das Deutsche Kaiserreich. (...) Aus der Asche des deutschen Reiches erblühte die Republik und bringt den Frieden. Presse- und Redefreiheit und viele andere gute Dinge bringt die Zukunft."
"Viele andere gute Dinge bringt die Zukunft ..." Was für ein optimistischer Satz.
Es ging also einerseits um demokratische Grundrechte im engeren Sinne, also um das allgemeine Wahlrecht, auch für Frauen, um die Wahl der Regierung durch Parlamente, um Meinungs-, Rede- und Pressefreiheit, die Unabhängigkeit der Justiz.
Aber es ging auch um andere "gute Dinge" - Arbeitnehmerrechte, Betriebsräte, soziale Institutionen, ein erstes öffentliches Wohnungsbauprogramm.
Und es ging schon damals um einen Gedanken, der auch heute Gültigkeit hat:
Nämlich um die Erkenntnis, dass formale Rechte auf politische Beteiligung und Mitbestimmung nur der erste Schritt sind. Um solche Rechte auch praktisch wahrzunehmen, für sich zu erschließen und als Chance für das eigene Leben nutzen zu könne, bedarf es guter Bildung.
Deshalb wurden in Hamburg vor hundert Jahren nicht nur demokratische Rechte beschlossen, sondern zugleich eine Universität gegründet, zu der alle Zugang hatten - unabhängig vom Geschlecht, Herkunft und vom Einkommen. Auch die Volksschullehrer sollten dort eine akademische Ausbildung erhalten.
Darüber hinaus wurden die Hamburger Volkshochschule gegründet, Bücherhallen und städtische Kindertagesstätten eröffnet.
In diesem Zusammenhang einer breiten Offensive für Bildung und Teilhabe für alle stand auch die Gründung der Hamburger Volksbühne, die allen Hamburgerinnen und Hamburgern die Teilhabe an Kunst und Kultur ermöglichen sollte.
Das Deutsche Schauspielhaus befand sich zu dieser Zeit in einem wirtschaftlich miserablen Zustand, da es damals nur noch einen kleinen Teil des großbürgerlichen Stammpublikums erreichte.
Mit den gesellschaftlichen Umbrüchen und der Gründung der Hamburger Volksbühne entstand ein neues Publikum.
Plötzlich saßen nicht mehr nur reiche Kaufleute, sondern auch Arbeiter, Handwerker, Angestellte, Menschen mit geringem Einkommen in den Vorstellungen, diskutierten das Geschehen auf der Bühne, bildeten sich dazu eine Meinung und beeinflussten letztlich auch, was dort gezeigt wurde.
Auf den Tag genau vor hundert Jahren, am 23. März 1919 fand die erste Vorstellung für die Mitglieder der Volksbühne hier im Deutschen Schauspielhaus statt:
Gespielt wurde das Stück "Und das Licht scheinet in der Finsternis" von Leo Tolstoi, das - passend zu den Arbeiteraufständen - von einem Gutsbesitzer erzählte, der sämtliche Güter aufgibt und sich fortan gemeinnützigen Zielen widmet.
Die Volksbühne nennt sich heute inkulturund ist zur größten Besucherorganisation Deutschlands geworden. Damals wie heute weckt, fördert und vertieft sie das Verständnis für Kunst und Kultur.
Sie vermittelt Besuche in staatlichen und privaten Theatern und organisiert Kulturreisen in andere Städte. Sie bringt Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammen, um gemeinsam Kunst zu erleben und sich darüber auszutauschen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Hamburg ist eine vielfältige und lebhafte Kulturmetropole. Die Volksbühne ermöglicht ihren Mitgliedern, diese in der gesamten Breite ihres Angebotes zu erleben.
Ich danke dem Vorstand und allen Engagierten bei der Hamburger Volksbühne im Namen des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg sehr herzlich für Ihre Arbeit,
gratulieren Ihnen zum 100. Jubiläum und wünsche Ihnen für die Zukunft weiterhin alles Gute!
Und nun freue ich mich auf einen schönen Theaterabend.
Herzlichen Dank.
Es gilt das gesprochene Wort.